Verbum. In der Tempusbildung zeigen die Urkk. völlige Uebereinstimmung mit Chaucer. Die schwachen Verben auf -ian, -izan haben das alte -i- des Ableitungssuffixes durch Formübertragung eingebüsst, während der Süden Englands diese Ausgleichung nicht vollzogen hat. Nur einmal hat eine spätere Urk. den infinitiv loki. Auch die Verben, deren Stamm auf -bb und -c3 ausgeht, haben die mehrfache Consonanz zu Gunsten der übrigen Verbalformen mit einfachem Consonanten ausgeglichen, während auch hier der Süden Englands die alten Formen bewahrt hat. Die ältesten Lond. Urkk. haben nur einmal lygge. Auch Chaucer hat vereinzelte südliche Formen wie leggen, abeggen (letzteres kentisch). Von Verbalendungen sind bemerkenswert: Die 3. sing. praes. ind. geht auf (e)th aus. Die Endung (e)th gehört dem Ostmittellande (zum Teil auch dem Westmittellande) und Süden an. Der plur. praes. ind. und conj. hat wie bei Chaucer die Endung -en oder -e, welches in den jüngeren Urkk. öfters abfällt. Vereinzelt findet sich der südliche plur. indic. auf -eth, einmal beth in einer der älteren Urkk. Die Endung -(e)n für den plur. indic. gehört dem Mittellande an. Der Plural des praeteritums starker und schwacher Verben geht seltener auf -en, häufiger auf -e aus, oder ist endunglos. Die Urkk. haben im Ganzen nicht viele Belege. Der Infinitiv endigt auf -e, welches in den ältesten Urkk. schon öfters fehlt, weit seltener auf -en. Auch bei Chaucer fällt -n häufig ab. Das Gerundium ist fast durchweg mit dem Infinitiv zusammengefallen. Das partic. praes. geh tauf -ing(c), -yng(e) aus; ganz vereinzelt wird in den Urkk. -eng geschrieben. Die Endung -ing(e) gehört dem Süden und zum Teil dem Mittellande an. Das partic. praeter. starker Verben geht in den älteren Urkk. auf -(e)n aus, doch fällt das -n häufig ab, wie bei Chaucer. In den jüngeren Urkk. (etwa von den zwanziger Jahren des 15. Jahrh. an) ist -n ziemlich fest. Das Festhalten des -n im partic. praet. ist Charakteristikum des nördlichen England, während der Süden im 14. Jahrh. das -n hier durchweg abgeworfen hat. Wir sehen also, dass Chaucer's Sprache in manchen Punkten von dem Londoner Dialekte abweicht. Es ist dies jedoch nur zum allergeringsten Teile aus sogenannter Reimnot zu erklären. Es ist ja möglich und auch zuzugeben, dass der Dichter in einigen Fällen, um leichter reimen zu können, zu Lauten und Formen gegriffen hat, die seinem Dialekt mehr oder weniger fremd waren. Doch würde dieser Grund für die meisten Fälle nicht Stich halten. Auch ist zu bedenken, dass die Annahme durch nichts gerechtfertigt ist, dass Chaucer, der ohne Zweifel der formgewandteste und „bis Shakspere erschien, der sprachgewaltigste unter den englischen Dichtern war", so häufig zu solchen Auskunftsmitteln seine Zuflucht genommen haben könnte. Die Gründe müssen tiefer liegen. Es ist eine ziemlich bekannte, obwohl von manchen noch zu wenig beherzigte Thatsache, dass die me. Dichter, namentlich der späteren Zeit, in ihren Reimen (nur diese lassen sich ja meist kontrolieren) sich fast nirgends streng an den Dialekt ihrer engeren Heimath gehalten haben. Reime aus benachbarten und manchmal auch aus entfernteren Gegenden sind nicht selten anzutreffen. Es ist dies vornehmlich dem Einfluss der Literatur zuzuschreiben, durch welche abweichende Laute und Formen verschiedener Gegenden in die kunstmässige Dichtersprache Aufnahme und weitere Verbreitung fanden, teils durch Nachahmung, teils durch wenig konsequente Uebertragung dialektisch abweichender Dichterwerke in die Sprache der Heimat. Auch hat in vielen Fällen ein aufs Allgemeinere gerichteter Zug die Dichtersprache beherrscht, indem man den engeren Lokalton, wenn nicht abzustreifen, so doch einzuschränken und über die Grenze der engsten Heimat hinaus sich auch den übrigen Stammesgenossen verständlicher zu machen suchte. Ueberhaupt aber schrak der Dichter nicht vor der Mischung verschiedener Dialektformen zurück, eine Mischung, die je nach der Gegend, in welcher er lebte, und den Umständen, unter denen er schrieb, eine verschiedene war, da es eine einheitliche Kunstsprache oder was diesem auch nur ähnlich gewesen wäre, zu jener Zeit in England nicht gegeben hat. Von diesen Gesichtspunkten aus ist auch Chaucer's Sprache, insofern sie von dem Londoner Dialekte abweicht, zu beurteilen. Möglich, ja wahrscheinlich, dass noch andere Momente, die sich dem Blicke des Forschers entziehen, den Dichter beeinflusst haben. Thatsache aber ist, dass Chaucer seinen Dichtungen vielfach mittelländische und südliche Elemente einverleibt hat, die dem Dialekt seiner engeren Heimat entweder gänzlich fremd oder doch in demselben Umfange nicht zu eigen waren, wobei es gleichgültig erscheinen muss, ob der Dichter wirklich in London geboren war, was man in jüngster Zeit in Abrede zu stellen versucht hat. s. Academy nr. 717, 77 f. In anderen Punkten stellt Chaucer's Sprache eine etwas ältere Stufe als diejenige unserer ältesten Londoner Urkunden dar. s. bei a (o) vor nd, ng; ae. éo + w; beim pronomen possess. here (= their). Vielleicht gehört auch noch einiges andere hierher. Unsere ältesten Londoner Urkunden fallen eben in Chaucer's spätere Mannesjahre. Im übrigen mag dichterischer Konservatismus zum Teile mit in Anrechnung zu bringen sein. II. Die Londoner Sprache muss ursprünglich ein wesentlich südlicher und zwar sächsischer Dialekt gewesen sein. Murray hat schon vor Jahren durchaus das Richtige getroffen, wenn er in seinem kurzen Abriss über „,English Language" anknüpfend an den Text der Proklamation Heinrich's III. von 1258 sagt: ,,As to the dialect of this document, it is more southern than anything else, with a slight midland admixture, and represents no doubt the London speech of the day. London being in a Saxon county, and contiguous to the Saxon Kent and Surrey, had certainly at first a southern dialect; but its position as the capital, as well as its proximity to the midland district, made its dialect more and more midland. Even in Chaucer, however, it has still southern features, for Chaucer's language is well known to be more southern than standard English eventually became." (v. den Artikel „English Language" in der Encyclopaedia Britannica S. 396.) Das Urteil Murray's betreffs der Proklamation wird durch eine kurze Analyse der dialektischen Eigentümlichkeiten des Textes vollauf bestätigt. Auf den Süden Englands weisen die folgenden Erscheinungen hin: 1) ae. æ ist dem Laute nach erhalten und wird in der Regel æ, einmal e geschrieben. v. pet im Ganzen 15 mal; ætforen Z. 8. 10; stedefæst Z. 3. 7; stedefæstliche Z. 4; wes Z. 8. Dazu gesellt sich das aus ae. gekürzte e in ilestinde Z. 3; lestinde Z. 7. 2) ae. â wird durchgehends oa und o geschrieben: Lhoauerd Z. 1; moare Z. 2. 5; hoaten Z. 3. 6; ozen Z. 4; þo Z. 4. 11; alswo Z. 5; ope Z. 5; noan Z. 5; ifoan Z. 6; two Z. 8. Dazu die gedehnten oa; v. S. 19. 3) Der Diphthong ea in: to healden Z. 4; healden conj. plur. praes. Z. 4. 6. Daneben einmal to halden Z. 7, welches jedoch nicht anglisches halden bedeutet, wofür wir hoalden oder holden in unserer Urkunde erwarten müssten, da ae. â hier durchweg zu ʊl geworden ist, sondern halden neben traditionellem healden ist südliche Monophthongierung des älteren healden mit Kürze vor ld und mit Lazamon's Text A zu vergleichen, wo sich gleichfalls nur ea, æ und a vor ld findet. Die Oxforder Kopie der Proklamation, über deren Verhältnis zur Londoner Vorlage weiter unten gehandelt wird, hat auch an dieser Stelle healden. 4) Der Vokal u in kuneriche Z. 2. 11. Canterbury Z. 8. 5) Die Endung -inde des particip. praes. ind. ilestinde Z. 3; lestinde Z. 7. 6) Die Erhaltung des Präfixes ae. 3eals - in allen Partizipien praeteriti sowie in manchen anderen Fällen: ichosen Z. 2; idon Z. 2. 8; ilet Z. 6; imakede Z. 4; iseid Z. 5; iseide Z. 4; toforeniseide Z. 3; iseined Z. 7; isend Z. 11; isworene Z. 8; ferner in ilestinde Z. 3 (lestinde Z. 7); igretinge Z. 1 ; isetnesses Z. 4; ifoan Z. 6; inoze (so zu lesen, wie die Oxforder Kopie gezeigt hat) Z. 10. 7) Die Erhaltung des Ableitungssuffixes in swerien plur. conj. praes. Z. 4; to makien Z. 4; to werien Z. 4. Morsbach, Neuengl. Schriftsprache. 11 8) Die Verbalform habbep Z. 2. 9) Der gen. plur. Engleneloande Z. 1. 9. 11. 10) Die verhältnismässig zahlreich erhaltenen Formen des flektierten Pronomens pe (Artikel): of pan tof. redesmen Z. 3; purz pan tof. redesmen Z. 4; bi pan ilche ope Z. 5; pane eztetenpe day Z. 7; ouer al pære kuneriche Z. 11. 11) Die Pronominalformen heom (= them) Z. 2. 5; heo (= they) Z. 4. Zu diesen Erscheinungen stimmen auch andere, welche weniger streng für den Süden beweisend sind, wie die Palatalisierung von c in kuneriche, deadliche Z. 6, Leirchestre Z. 9, Glowchestre Z. 9. Bemerkenswert ist das zweimalige ilche Z. 5. 11. Die angeführten Fälle sind in ihrer Gesammtheit für den Süden jedenfalls beweisend, wenn auch einige derselben dem Mittellande oder Teilen desselben nicht gänzlich fremd sind. Auf das Mittelland weisen die folgenden Erscheinungen hin: 1) Die Verbalendungen des praesens plur. indic.: hoaten Z. 3. 6; beon Z. 4; willen Z. 6.7; senden Z. 7. Daneben seltener südliche Formen: beop Z. 2; habbep Z. 2. 2) Das Zahlwort eztetenpe Z. 7. 3) Die Pronominalformen onie, oni, onie Z. 6, welche dem Süden des Mittellandes angehören. 4) Die praepos. in tell Z. 11, welche auch nördlich ist. 5) Der Plural des possessivums hise Z. 1. v. Morris bei Ellis Transactions of the Philol. Society 1868-9 S. 76. Anm. 2. Wir haben also einen im Ganzen südlichen Dialekt, der vom Mittellande beeinflusst ist. Doch wir können in der Bestimmung des Dialekts noch weiter gehen. Dass unsere Urkunde nicht dem Südwesten, sondern dem Südosten Englands angehört, zeigt iwersed (zu ae. wyrsian), welches anglisch und kentisch und überhaupt südöstlich ist (v. bei ae. ie, y und s. 155), während der Südwesten iwursed hat. Dazu stimmen denn auch witen Z. 2, willen Z. 6. 7 (südwestl. wuten, wullen). Doch deuten auf südwestlichen Einfluss das zweimalige kuneriche und Canterbury. Die Schreibung des Namens Hurtford (westliches u für e = ae. eo) kann für den Dialekt des Verfassers nicht in Betracht kommen. Kentischer Dialekt ist selbstverständlich ausgeschlossen, wie schon die konstanten Diphthonge healden, beop, beon, deadliche, corl und die öfteren @ für ws. ê (kent. é) zeigen. v. ilærde Z. 1; dæl Z. 2. 5; rædesmen Z. 2. 4; pære Z. 11; œurihce Z. 11; auch zeare Z. 8; daneben seltener e in redesmen Z. 3. 8; wherpurz Z. 6. Es zeigen diese Schreibungen zugleich, dass der Londoner Dialekt auf sächsischem ê, nicht anglisch-kentischem ê (doch vergl. auch S. 153 f.) beruht, was auch mit der späteren Entwickelung übereinstimmt. Aber nicht nur aus sprachlichen Gründen ist die Proklamation als in London geschrieben zu betrachten 1), sondern es weisen auch noch andere Umstände darauf hin. Als Skeat vor einigen Jahren auf eine zweite in Oxford aufbewahrte und für Oxford (0) bestimmte Kopie unserer Proklamation welch letzteres Exemplar bekannt 1) Morris' und Ellis' Urteil (um anderer zu geschweigen) über den Dialekt dieser Urkunde ist durchaus schief. v. Ellis a. a. O. S. 75 ff. und lich an die Bewohner von Huntingdonshire (H) gerichtet ist aufmerksam machte und dieselbe kritisch beleuchtete (v. Academy Nr. 521 s. 304. Nr. 523 s. 339. Nr. 527 s. 416), wies er mit Recht darauf hin, dass aus dem Umstande, dass H zu London (im Tower) aufbewahrt worden und der Passus Z. 11 all on po ilche worden etc. in O fehle, zu schliessen sei, dass die Kopie H in London geschrieben und zurückbehalten worden sei „as a record of what was proclaimed." Nur in Bezug auf die Beurteilung der Oxforder Kopie und die darin sich findenden dialektischen Abweichungen kann ich Skeat nicht beistimmen. Die Oxforder Kopie enthält keine Umschrift in den anglischen Dialekt, wie man vermuthen könnte, sondern ist eine neue in Oxford angefertigte Kopie einer in London geschriebenen und von dort nach Oxford gesandten Vorlage, deren südlicher Dialekt in einer Reihe von Fällen zu Gunsten des mittelländischen Oxforder Dialekts und zwar wenig konsequent geändert ist. Es sind: die Verbalformen beon Z. 2, habben Z. 2, to maken Z. 4. Das Präfix i- ist ausgelassen in lestinde Z. 3, seide Z. 3. 4, makede Z. 4, let Z. 6, sened Z. 7, don Z. 8, sworen Z. 8 Z. 4, foan Z. 6; doch ist es an 7 andern Stellen erhalten. Das Flexions-e des Dat. sing. und plural. ist abgeworfen in god Z. 3, loand Z. 3. 5, oap Z. 5, zear Z. 8, sworen (plur.) Z. 8. Der flektierte dativ des Artikels pan Z. 5 ist durch pat ersetzt. Im übrigen ist der südliche Dialekt der Vorlage beibehalten. Für ae. @ und setnesses wird durchweg e geschrieben, weil dies wohl so in der Vorlage stand, dagegen in dem an Stelle von pan gesetzten pat hat der mittelländische Schreiber das seinem Dialekt entsprechende a eingeführt. Aus der südlichen Vorlage sind gleichfalls herübergenommen healden (auch in Z. 7, wo H halden hat), ferner pene (Η pane) Z. 7, amoa[n]ges (H amanges) Z. 7, his (H hise) Z. 1. Andere Abweichungen von H haben für die Dialektfrage keine Bedeutung. Wenn aber Skeat annimmt, dass () in London geschrieben sei, aber im Gegensatze zu H von einem Schreiber,,,who was best acquainted with midland English", so wird man doch verwundert fragen, warum denn grade die Oxforder Kopie, und nicht etwa die Londoner einem solchen Schreiber in die Hände gerathen ist. Der Sachverhalt erklärt sich jedenfalls am einfachsten, wenn wir annehmen, dass man in London für jede Grafschaft (v. Z. 11) eine Kopie in Londoner Mundart herstellen liess und dass diese in die einzelnen Grafschaften geschickten Londoner Kopien daselbst durch neue Abschriften verbreitet wurden. Anm. 2. Uebrigens sind at Lunden und ætfore nicht „strictly Northern, or at most East and West Midland words"; sie kommen auch im Süden vor, wie ein Blick in Mätzner's Wörterbuch zeigt. |